Wie funktioniert Schreiben? Mit dieser Frage ist nicht die motorische Handlung an sich gemeint, sondern der Prozess, der vom Gedanken bis hin zum Text abläuft. In dieser Artikelreihe stelle ich Ihnen ein theoretisches Modell des Schreibens vor: das kognitive Schreibprozess-Modell von Flower und Hayes. Dieses besteht aus verschiedenen Elementen. Eines davon ist das Übersetzen von Gedanken in Text. Darum geht es hier in Teil V.

Flower und Hayes11981, S. 369f. bildeten das kognitive Schreibprozessmodell. Demnach ist Schreiben ein dynamischer Prozess, der aus drei Teilen besteht::

  1. Aufgabenumwelt
  2.  Langzeitgedächtnis der Schreibenden
  3. Schreibprozess

Der eigentliche Schreibprozess wiederum besteht aus vier Subprozessen:

  • Planen (Planning)
  • Übersetzen (Translating)
  • Überprüfen (Reviewing)
  • Überwachen (Monitor)

Nachdem ich mich im vorherigen Artikel mit dem Planungsprozess beschäftigt habe, geht es hier einen Schritt weiter: zum Übersetzen.

Was ist Übersetzen?

Beim Übersetzen übertragen Sie Ihre Gedanken, Ideen und Pläne in einen geschriebenen Text. Es geht nun also ans Eingemachte: Sie werden kreativ. Doch das ist gar nicht so einfach. Und zwar, weil Denken und Schreiben nicht dasselbe sind.

Innere Sprache und Schriftsprache

Gedanken sind nämlich anders strukturiert als ein geschriebener Text. Auch wenn Ihre Gedanken in einer Art „innerer Sprache“ organisiert sind: Es ist etwas ganz anderes, diese „innere Sprache“ in korrekte Schriftsprache zu übersetzen. Sie stehen vor der Aufgabe, Bedeutungszusammenhänge, die in einem komplexen Netzwerk organisiert sind, in einen linearen Text zu übersetzen.

Das heißt vor allem, dass Sie Ihre nicht linearen Gedanken in Sätze übersetzen müssen. Sätze sind lineare Abfolgen von Wörtern. Es kann immer nur ein Wort auf ein anderes folgen. In unserem Kopf sieht das ganz anders aus. Wir können auch mehrere Gedanken gleichzeitig denken. Nur sprachlich ausdrücken können wir das nicht.

Übersetzen heißt, mit Anforderungen zu jonglieren

Für Flower und Hayes21981, S. 373 ist Übersetzen vor allem eins: jonglieren. Sie jonglieren mit allen Anforderungen an die Schriftsprache. Schriftsprache hat andere Anforderungen als gesprochene Sprache. Das liegt daran, dass Leserinnen und Leser nicht nachfragen können, wenn sie Ihren Text nicht verstehen. Sie müssen also alles mitteilen, was für das Verständnis Ihres Textes notwendig ist. Bünting et al.32002, S. 91 nennen zwei Anforderungen an die Schriftsprache:

  • Korrektheit: Sprachlich falsche Sätze können missverständlich Deshalb sollte der sprachliche Ausdruck so treffend wie möglich sein. Dabei sind vor allem die Regeln der Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung zu beachten.
  • Verständlichkeit: Nicht alles, was richtig ist, ist auch verständlich. Die Verständlichkeit muss immer aus der Perspektive des Lesers beurteilt Es kommt auf seine Position, sein Vorwissen und sein Aufnahmevermögen an. Formulierungen sollten stets so genau wie möglich, aber nicht genauer als nötig sein.4ebd.

Neben diesen sprachlichen Anforderungen gibt es auch noch motorische Anforderungen. Es geht um die Bewegungen beim Tippen. Wenn Sie beispielsweise das 10-Finger-Tastaturschreiben nicht beherrschen und ständig mit zwei Fingern einzelne Buchstaben auf der Tatstatur suchen müssen, dann kann das den Übersetzungsprozess verlangsamen.

Sie haben also viel zu tun, wenn Sie versuchen, Ihre Gedanken in Text zu übersetzen. Vor allem dann, wenn Sie noch nicht so geübt sind im Schreiben. Das liegt daran, dass der Übersetzungsprozess einen Flaschenhals hat: das Arbeitsgedächtnis.

Flaschenhals Arbeitsgedächtnis

Sie haben vielleicht schon einmal vom Langzeitgedächtnis gehört. Doch was ist das Arbeitsgedächtnis? Das Arbeitsgedächtnis ist das Gedächtnissystem, das Sie brauchen, um in kurzer Zeit Informationen verarbeiten zu können.

Das Arbeitsgedächtnis hat jedoch ein Problem: Seine Kapazität ist begrenzt. Und das merken Sie vor allem dann, wenn Sie versuchen, Ihre Gedanken in Text zu übersetzen. Sie müssen dann nämlich nicht nur Ihre nicht linearen Gedanken in linearen Text übersetzen, sondern dabei auch alle Regeln der Schriftsprache einhalten. Gleichzeitig brauchen Sie den Überblick über Ihren wachsenden Text und das rhetorische Problem, das Ihr Text lösen soll.

Und genau das ist einer der vielen Gründe, warum Schreiben als schwer gilt. Vielleicht fragen Sie sich nun: Wie kann ich den Flaschenhals Arbeitsgedächtnis überwinden?

Sie können sich natürlich ein teures Buch über Gedächtnistraining kaufen oder einen noch teureren Kurs besuchen. Doch damit können Sie nur die Kapazität Ihres Arbeitsgedächtnisses trainieren und Ihr Konto belasten. Einen direkten Übertrag auf das Schreiben gibt es nicht, denn:

Schreiben lernt man nur durch Schreiben

Es ist deshalb besser, am Arbeitsgedächtnis in Form von ständigem Schreiben zu arbeiten. Dazu können Sie Ihr Schreiben so organisieren, dass Sie Ihr Arbeitsgedächtnis entlasten. Und zwar in Form von „Single Tasking“.

Das Arbeitsgedächtnis beim Schreiben entlasten mit „Single Tasking“

Sie entlasten Ihr Arbeitsgedächtnis, indem Sie sich nur an einer einzigen Aufgabe arbeiten. Das heißt, dass Sie sich angewöhnen, nicht alles auf einmal machen zu wollen. Das kann Ihnen gelingen, wenn Sie zunächst „ins Blaue“ schreiben und anschließend überarbeiten:

Schreiben Sie eine freie Rohfassung

Es wird Ihnen nicht gelingen, auf Anhieb einen perfekten Text zu schreiben. Das kann niemand. Weder erfahrene Professorinnen noch erfolgreiche Schriftsteller. Verabschieden Sie sich also von der Vorstellung, Sie könnten sofort einen druckreifen Text schreiben. Schreiben Sie also eine freie Erstfassung. Dabei müssen Sie auch noch nicht auf korrekte und „perfekte“ Sprache achten. Schreiben Sie „unzensiert“ drauf los. Sie können Ihre Rohfassung zum Beispiel so formulieren:

Einige Forscher wie Maier (XZ) denken, dass grünes Gemüse keine positiven Auswirkungen auf die Herzgesundheit hat. Doch das ist Quatsch. Schultze (XY) konnte in einer Studie zeigen, dass grünes Gemüse doch positive Auswirkungen auf die Herzgesundheit hat.

Denken Sie beim Schreiben der Rohfassung nicht an Sprache, Stil und Schriftart: Denken Sie nur an Ihren Inhalt. Schreiben Sie Ihre Ideen auf. Wenn Sie fertig sind, können Sie dann alles überarbeiten. Aber Ihr Grundgerüst steht dann.

Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass Sie sich zunächst nur um den Aufbau Ihrer Arbeit kümmern. Sie können diese freie Rohfassung auch später ergänzen. Machen Sie in Ihrem wachsenden Text Kommentare, wo Sie noch etwas ergänzen möchten:

Einige Forscher wie Maier (XZ [QUELLE ERGÄNZEN]) denken, dass grünes Gemüse keine positiven Auswirkungen auf die Herzgesundheit hat. Doch das ist Quatsch. Schultze (XY) [EVENTUELL: NOCH EINE QUELLE ERGÄNZEN] konnte in einer Studie zeigen, dass grünes Gemüse doch positive Auswirkungen auf die Herzgesundheit hat.

Dann können Sie in Ihrem Gedankenfluss bleiben und geben sich gleichzeitig direkt Aufgaben für die inhaltliche Überarbeitung. Und schauen währenddessen Ihrem Text beim Wachsen zu.

Nach der Rohfassung: Überarbeiten

Wenn Sie eine freie Rohfassung geschrieben haben, machen Sie sich an das Überarbeiten und Ergänzen. Das ist auch ein weiterer Subprozess im kognitiven Schreibprozessmodell. Deshalb werde ich dem Überarbeiten noch einen eigenen Artikel widmen.

Fazit: Übersetzen ist harte Arbeit

Aus Sicht des kognitiven Schreibprozessmodells von Flower und Hayes51981 ist Übersetzen das Übertragen von Gedanken, Ideen und Plänen in einen geschriebenen Text. Und das ist schwer, denn die Sprache der Gedanken entspricht nicht der Schriftsprache. An die Schriftsprache werden vielfältige Anforderungen gestellt. Sie müssen vor allem korrekt und verständlich sein.

Übersetzen ist deshalb schwer, weil die Kapazität des menschlichen Arbeitsgedächtnisses begrenzt ist. Das Arbeitsgedächtnis sollte also beim Schreiben entlastet werden. Das kann gelingen, wenn Sie stets nur eine Aufgabe gleichzeitig bearbeiten. Zum Beispiel, indem Sie zunächst eine freie Rohfassung schreiben, in der Sie zunächst einfach nur Ihre Gedanken strukturieren. So schaffen Sie ein Grundgerüst für Ihren Text, das Sie später überarbeiten können.

Fragen zur Selbstreflexion

  • Welche Anforderung an die Schriftsprache bereitet Ihnen die größten Probleme?
  • Was machen Sie, um Ihr Arbeitsgedächtnis zu entlasten?
  • Haben Sie schon einmal versucht, eine freie Rohfassung zu schreiben?

Literatur

Bünting, K.-D., Bitterlich, A., & Pospiech, U. (2002). Schreiben im Studium: mit Erfolg. Ein Leitfaden. Berlin: Cornelsen

Flower, L., & Hayes, J. R. (1981). A cognitive process theory of writing. College composition and communication, 32(4), 365-387.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 1981, S. 369f.
2 1981, S. 373
3 2002, S. 91
4 ebd.
5 1981