Wie funktioniert Schreiben? Mit dieser Frage ist nicht die motorische Handlung an sich gemeint, sondern der Prozess, der vom Gedanken bis hin zum Text abläuft. In dieser Artikelreihe stelle ich Ihnen ein theoretisches Modell des Schreibens vor: das kognitive Schreibprozess-Modell von Flower & Hayes. Dieses besteht aus verschiedenen Elementen. Eines davon ist das Überprüfen Ihres frischen Textes. Darum geht es hier in Teil VI.


Flower und Hayes11981, S. 369f. bildeten das kognitive Schreibprozessmodell. Demnach ist Schreiben ein dynamischer Prozess, der aus drei Teilen besteht:

  1. Aufgabenumwelt
  2. Langzeitgedächtnis der Schreibenden
  3. Schreibprozess

Der eigentliche Schreibprozess wiederum besteht aus vier Subprozessen:

  • Planen (Planning)
  • Übersetzen (Translating)
  • Überprüfen (Reviewing)
  • Überwachen (Monitor)

Nachdem ich mich im vorherigen Artikel mit dem Übersetzen Ihrer Gedanken in Text beschäftigt habe, geht es hier nun einen Schritt weiter: zum Überprüfen des geschriebenen Textes.

Überprüfen

Wenn Sie Ihre Gedanken in Text übersetzt haben, ist das toll: Sie haben eine Rohfassung geschrieben. Doch jetzt fängt die eigentliche Arbeit erst an. Denn egal, wie Sie Ihre Rohfassung geschrieben haben, ob frei oder geplant, Sie müssen das Geschriebene zunächst überprüfen. Doch was ist das? Und wie geht es? Das alles erfahren Sie hier.

Überprüfen = Beurteilen und Überarbeiten

Für Flower & Hayes besteht das Überprüfen aus zwei Subprozessen:

  • Beurteilen (Evaluating)
  • Überarbeiten (Revising)

Flower & Hayes selbst schreiben nicht viel über das Überprüfen; der Absatz zu diesem Punkt ist recht knapp gehalten. Vielen scheint klar zu sein, wie Überprüfen geht: einfach den Text noch mal durchlesen und dann wahllos irgendwas ändern, was falsch ist oder einem nicht gefällt. Doch das ist ein Irrtum! Überprüfen sollte niemals wahllos sein.

Leider machen Flower & Hayes keine Vorschläge, wie man Texte überprüfen kann. Deshalb baue ich meinen eigenen Vorschlag für eine systematische Überarbeitungsstrategie in diesen Artikel ein.

Doch bevor es so weit ist, schauen wir uns zunächst die beiden Subprozesse an.

Beurteilen

Beim Beurteilen wechseln Sie Ihre Rolle: Haben Sie vorher noch geschrieben, was Ihnen in den Sinn kam, betrachten Sie nun selbstkritisch, ob das Geschriebene auch so ist, wie es sein soll. Haben Sie alle Fakten und Quellen richtig wiedergegeben? Ist Ihr Text sinnvoll und verständlich? Passt Ihr Stil zum Schreibanlass? Und natürlich: Ist Ihr Text korrekt?

Das sind viele Fragen, die Sie nun beantworten müssen. Eins ist klar: Je kritischer Sie Ihren eigenen Text nun lesen können, desto besser. Doch das ist schwer. Warum? Weil Sie möglicherweise textblind sind.

Problem: Textblindheit

Das heißt, dass Sie schon so viel Zeit mit Ihrem Text verbracht haben, dass Sie ihn gar nicht mehr selbstkritisch beurteilen können. Das gilt vor allem für Fehler: Die können Sie gar nicht wahrnehmen. Schließlich wissen Sie selbst am besten, was Sie wie gemeint haben. Dass da irgendwo Wörter oder Kommas fehlen können Sie gar nicht mehr sehen.

Das Schöne: Sie müssen sich jetzt auch noch gar nicht mit Ihren Fehlern beschäftigen. Das Einzige, was Sie jetzt machen können, ist warten. Und danach nehmen Sie sich Ihren Text erst mal auf der inhaltlichen Ebene vor.

Lösung: Liegen lassen und später lesen

Die altbewährte Lösung in diesem Fall: Lassen Sie Ihren Text ein paar Tage oder Wochen liegen. Schauen Sie ihn gar nicht mehr an. Denken Sie noch nicht einmal daran, dass Sie ihn jemals geschrieben haben. Und machen Sie stattdessen etwas ganz anderes, Sie haben sicher noch einige andere Dinge zu tun.

Nach ein paar Tagen oder Wochen nehmen Sie sich Ihren Text wieder vor. Drucken Sie ihn am besten aus. Dann kommen Sie gar nicht erst in die Versuchung, zu viel auf einmal ändern zu wollen. Das können Sie dann nämlich gar nicht.

Und dann beurteilen Sie den Text. Ich schlage vor, das auf drei verschiedenen Ebenen zu machen:

  • Inhaltliche Ebene
    • Fakten
    • Quellen und Belege
  • Sprachliche Ebene
    • Struktur
    • Stil
    • Verständlichkeit
    • Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung
  • Formale Ebene
    • Formatierung
    • Zitierstil
    • Verzeichnisse

Ich empfehle Ihnen, den Text nicht auf allen Ebenen gleichzeitig zu beurteilen. Das überlastet Ihr Arbeitsgedächtnis, weil Sie dann auf zu viel auf einmal achten müssen. Entscheiden Sie sich für eine Ebene: die inhaltliche Ebene.

Beurteilen auf der inhaltlichen Ebene

Was heißt das? Sie lesen Ihren Text aufmerksam und kritisch und stellen sich dabei immer zwei Fragen:

  • „Ist das wirklich so?“
  • „Wer sagt das?“

Das heißt, Sie fragen sich bei jedem einzelnen Satz, ob Sie Ihr Wissen korrekt wiedergegeben haben und ob Sie eigene oder fremde Gedanken auch als solche kenntlich gemacht haben. Dazu können Sie zwei verschiedenfarbige Stifte benutzen: einen „Faktenstift“ und einen „Gedankenstift“.

Wenn Sie das machen, dann blenden Sie alles aus, was nichts mit dem Inhalt zu tun hat. Ignorieren Sie Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung. Auch Stil und Verständlichkeit spielen jetzt noch keine Rolle. Das kommt später.

Nehmen Sie sich dafür genug Zeit, je nachdem, wie lang Ihr Text ist. Umfangreiche Texte wie Master- oder Promotionsarbeiten oder Sachbücher werden natürlich mehr Zeit beanspruchen als eine kurze Hausarbeit. Doch irgendwann werden Sie fertig und Ihr Text bunt. Die Beurteilung ist abgeschlossen. Das Überarbeiten beginnt.

Überarbeiten

Jetzt geht es ans Eingemachte. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: an Ihre eingemachten Gedanken. Im empfehle, den Text auf den bekannten drei Ebenen zu überarbeiten:

  • Inhaltliche Ebene
    • Fakten korrigieren
    • Quellen und Belege ergänzen
    • Eigene Gedanken als solche kenntlich machen
  • Sprachliche Ebene
    • Stil anpassen
    • Verständlichkeit optimieren
    • Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung korrigieren
  • Formale Ebene
    • Formatierung anpassen
    • Zitationsstil vereinheitlichen
    • Fußnoten prüfen
    • Verzeichnisse anpassen

Auch hier gilt: Machen Sie nicht alles auf einmal. Das geht nämlich schief, weil Sie dann zu viel auf einmal machen müssen. Und: Beim Überarbeiten auf der sprachlichen und formalen Ebene können andere Personen Sie unterstützen. Zum Beispiel Freunde und Verwandte. Oder Sie suchen sich professionelle Hilfe, beispielsweise bei einem Lektor oder einer Lektorin. Die bearbeiten Ihren Text aufmerksam und systematisch und sind nicht „persönlich befangen“ und aus dem Bauch heraus.

Was Sie auf jeden Fall selbst machen sollten, ist die inhaltliche Überarbeitung. Vor allem, wenn Sie eine Haus- oder Abschlussarbeit geschrieben haben. Dann ist es nämlich Ihr Job und Ihre Prüfungsleistung, ein Thema wissenschaftlich korrekt darzustellen und weiterzuentwickeln. Dabei kann, soll und darf Sie niemand unterstützen.

Bei einem Fach- oder Sachbuch dürfen und sollten Sie sich natürlich auch für die inhaltliche Überarbeitung professionelle Hilfe suchen, das sind schließlich keine Prüfungsleistungen. Auch bei einem Roman kann es hilfreich sein, professionelle Hilfe für die Kontrolle von Fakten zu suchen.

Inhaltliche Überarbeitung

Sie haben Ihren Text ja schon inhaltlich überprüft und mit Ihrem „Fakten- und Ihrem „Gedankenstift“ alle kritischen Stellen markiert. Jetzt gilt es, diese Stellen zu überarbeiten:

  • Recherchieren Sie Ihre Fakten.
    • Haben Sie alle Theorien, Modelle und Begriffe korrekt wiedergegeben?
      • Wenn nicht: korrigieren!
    • Prüfen Sie, ob Sie alles fremde Gedankengut auch als solches kenntlich gemacht haben.
      • Sind alle fremden Gedanken mit Literaturbelegen versehen?
        • Wenn nicht: recherchieren und nachtragen!
      • Prüfen Sie, ob Sie Ihre eigenen Gedanken auch als solche klar kenntlich gemacht haben.
        • Sind Ihre eigenen Gedanken auch als solche markiert? (zum Beispiel mit Formulierungen wie: „möglicherweise“, „es ist anzunehmen, dass“, „XY scheint so zu sein“)
          • Wenn nicht: anpassen!

Während der inhaltlichen Überarbeitung werden Sie auch nach und nach ein Gespür für die sprachliche Qualität Ihres Textes entwickeln. Ihnen werden Fehler und schlechte Formulierungen auffallen, die Sie vorher nicht gesehen haben. Das ist gut. Jetzt können Sie nämlich die Ebene wechseln.

Sprachliche Überarbeitung

Hier geht es um die Sprache. Auch dabei gibt es zwei verschiedene Ebenen, die Sie nacheinander durchlaufen: die Ebene der sprachlichen Gestaltung und die Ebene der sprachlichen Korrektheit.

Sprachliche Gestaltung:

Auf dieser Ebene geht es vor allem darum, ob Ihr Text seinen Zweck erfüllt.

  • Struktur: Prüfen Sie, ob alle Kapitel und Absätze sprachlich miteinander verbunden
    • Verwenden Sie die richtigen Verbindungswörter und –formulierungen?
      • „obwohl“, „trotzdem“, „dennoch“, „wie in Kapitel XY dargestellt“ etc.
      • Am Ende sollten kein Kapitel und kein Absatz isoliert vom Rest sein und sich auf andere Kapitel und Absätze beziehen!
  • Stil: Prüfen Sie, ob Ihr Text den Anforderungen Ihres Schreibanlasses und der Textsorte entspricht
    • Sind Ihre Formulierungen und Ihre Wortwahl dem Zweck Ihres Textes angemessen?
  • Verständlichkeit: Prüfen Sie, ob andere Ihren Text auch verstehen können.
    • Sind Ihre Formulierungen, Ihre Wortwahl und Ihr Satzbau dem Zweck Ihres Textes angemessen?
      • Es gilt: Egal, ob Sie viel oder wenig Vorwissen voraussetzen können: Ihre Zielgruppe sollte den Text verstehen können.
      • Vereinfachen und kürzen Sie lange Sätze.
      • Überlegen Sie bei jedem Fachwort, ob es wirklich notwendig ist.

Sprachliche Korrektheit

Vorher haben Sie sich vor allem um die stilistischen Aspekte Ihres Textes gekümmert. Jetzt geht es eine Stufe tiefer: zur sprachlichen Korrektheit. Das heißt: Es geht um Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung.

Warum erst jetzt?

Weil es sehr wahrscheinlich ist, dass bei den vorherigen Überarbeitungsschritten neue Fehler in den Text einarbeiten. Das ist ganz normal: Wer in einem Text herumschreibt und -schiebt, verursacht dabei auch Fehler. Mal fehlt ein Wort, mal steht eins zu viel. Das kriegt man gar nicht mit. Deshalb korrigieren Sie erst dann, wenn der Inhalt steht.

Tipp: Wenn Sie ein Buch schreiben wollen und mit Testleserinnen und -Lesern arbeiten, dann sollten Sie auch erst deren Hinweise übernehmen und danach den fertigen Text auf Fehler überprüfen und korrigieren. Alles andere ist sinnlos, weil Sie so neue Fehler in den Text treben werden. Und das wollen Sie ja nicht.

Schalten Sie dabei am besten die Autokorrektur aus, die macht oft alles nur viel schlimmer.

  • Rechtschreibung: Prüfen Sie Ihren Text auf:
    • Tippfehler: Buchstabendreher, fehlende Buchstaben,
    • überflüssige Buchstaben (zum Beispiel bei „setzten“ statt „setzen“).
    • falsche Wörter am falschen Platz (vor allem die Wörter „mir“ und „mit“ sind da klassische Kandidaten
    • Falschschreibungen: großgeschriebene Adjektive („Pädagogische Fachkräfte“) oder kleingeschriebene Substantive („sozialpädagogik“).
    • Veraltete Schreibweisen: „Caesar“ statt „Cäsar“.
  • Grammatik: Prüfen Sie Ihren Text auf:
    • Unvollständige Sätze
    • Fehlende Wörter („Pädagogische Fachkräfte aufpassen, dass nichts passiert“.)
    • Falsches Geschlecht („Die Wagner gGmH ist ein beliebter Arbeitgeber“.)
    • Deklinationsfehler („Wegen dem pädagogischen Mitarbeiter“.)
  • Zeichensetzung: Prüfen Sie Ihren Text vor allem auf:
    • Fehlende oder doppelte Punkte am Satzende (Das machen Sie öfter, als Sie denken..)
    • Fehlende Kommas, wenn Sie zum Verständnis notwendig sind („Komm, wir essen Opa“.)
    • Fehlende Kommas, wenn Sie grammatisch notwendig sind („Pädagogische Fachkräfte müssen sich weiterbilden, natürlich auf Kosten des Arbeitgebers, und sich stets mit Kollegen austauschen“).

Formale Überarbeitung

Jetzt ist die Sprache „sauber“ und der Text muss nur noch „ins Reine“ gegossen werden: Er muss an formale Vorgaben angepasst werden. Diese Vorgaben können von Hochschulen und Lehrstühlen, aber auch von Verlagen kommen. Aber auch, wenn Sie ein Buch im Self-Publishing veröffentlichen wollen, sollten Sie unbedingt darauf achten, dass alles einheitlich formatiert ist. Wenn nicht, macht das einen schlechten und unprofessionellen Eindruck.

Wenn Sie einen wissenschaftlichen Text schreiben wollen oder sollen, achten Sie auch darauf, dass Sie den richtigen Zitierstil nutzen und konsequent einhalten.

Worauf achten Sie auf dieser Ebene?

  • Formatierung: Prüfen Sie, ob Ihr Text einheitlich formatiert ist bzw. den Vorgaben entspricht:
    • Seitenränder
    • Schriftart
    • Zeilenabstand
    • Überschriften
    • Tabellen
    • Fußnoten
    • Einrückungen
  • Zitation: Prüfen Sie, ob Sie einen einheitlichen Zitierstil haben. Welcher der Richtige ist, gibt Ihnen entweder Ihre Fachdisziplin vor oder Sie suchen sich ihn selbst aus.
    • Wichtig ist nur, dass er einheitlich ist. Wenn Sie sich z. B. für das Zitiersystem „APA“ (Maier & Schultz, 2016, S. 445) entschieden haben, dann wechseln Sie nicht mitten im Text in ein anderes (Maier / Schultz 2016: 445).
      • Ja, es gibt wirklich Menschen, die sich über so etwas ärgern …
  • Literatur: Wenn Sie ein Literaturverzeichnis haben, dann muss das auch vollständig sein. Sonst suchen Ihre Leser nach einer Quelle, die Sie im Text erwähnen und finden sie nicht. Das ist mir auch schon oft passiert und ich habe mich manchmal darüber geärgert.
    • Drucken Sie Ihr Literaturverzeichnis und gehen Sie Ihren Text durch. Sobald eine Quelle zum ersten Mal genannt wird, machen Sie einen Haken im Literaturverzeichnis und vermerken, auf welcher Seite die Quelle zuerst erwähnt wird.

Fertig?

Das war sie, die Ochsentour des Überprüfens. Das Vorgehen, das ich Ihnen hier vorgeschlagen habe, ist natürlich sehr zeitaufwendig. Aber Sie sollten trotzdem Ihren Text systematisch durchgehen, wenn Sie ihn wirklich verbessern wollen. Alles andere ist Zeitverschwendung.

Bei einigen Schritten können Sie sich auch Hilfe suchen, ob bezahlt oder unbezahlt: beim sprachlichen Überprüfen und Überarbeiten. Das ist sogar empfehlenswert, weil Sie möglicherweise unter Textblindheit leiden.

Fazit

Wie kann man Texte überprüfen? Die Antwort für viele Schreibende: einfach alles auf einmal durchlesen und wahllos irgendwas ändern. Doch diese wahllose Überarbeitungsstrategie kann Ihren Text noch schlechter machen!

In diesem Artikel habe ich Ihnen eine Strategie dargestellt, mit der Sie Ihre Texte systematisch überprüfen und überarbeiten können, auf mehreren Ebenen hintereinander:

  • Inhaltliche Ebene
  • Sprachliche Ebene
  • Formale Ebene

Der einzige Haken: Für diese Strategie brauchen Sie etwas mehr Zeit als für andere. Doch das sollte Sie nicht davon abhalten, Ihren Text systematisch zu verbessern!

Literatur

Flower, L., & Hayes, J. R. (1981). A cognitive process theory of writing. College composition and communication, 32(4), 365-387.

Anmerkungen

Anmerkungen
1 1981, S. 369f.